Das Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft in Berlin
Am 28. Mai 1947 wird der Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht München erstmals tätig mit einem Ermittlungsersuchen - „ob die näheren Umstände des Todes des Reichsministers a. D. Hamm noch aufzuklären sind und welche Personen für den Tod Hamms als verantwortlich zu betrachten sind“ - an das Polizeipräsidium in München. Das Polizeipräsidium antwortet am 04. Juni 1947, „daß keinerlei Vorgänge über den Tod des Reichsministers a. D. Hamm hier aufliegen“ und empfiehlt, Anfrage an den Landpolizeiposten Reit im Winkl zu richten. Am 09. Juni 1947 wendet sich der Generalstaatsanwalt mit einem Schreiben an den Landpolizeiposten. „Falls dort noch irgendwelche Unterlagen über die Verhaftung des Dr. Hamm vorhanden sind, bitte ich diese mir zu übersenden.“Der Landpolizeiposten Niedermayr und sein Postenchef in Traunstein, Hieble, teilen am 30. Juni 1947 mit: „Auf hiesiger Dienststelle befinden sich über diese Sache keine Unterlagen.“ Dr. Gertrud Hardtwig-Hamm war bei der Verhaftung am 02. September 1944 anwesend und hat den Vorgang, an dem der Landpolizeiposten und ein Gestapo-Mann auf dem „Bairhof“ beteiligt waren, in einem Bericht festgehalten. *)
Nach Herrn Kade, **) von dem Bruder Max Hamm im Oktober 1944 „nun auch offiziell“(Anzeige Maria Hamm, Blatt 3) erfuhr, und das kann nur heißen, im Polizeipräsidium von München, wohin Eduard Hamm zunächst verschleppt worden war, suchte man nicht.
Am 17. Juli 1947 übergab der Generalstaatsanwalt in München das Strafverfahren an den Generalstaatsanwalt beim Landgericht Berlin.
*) Über die Verhaftung Hamms fand sich auch in der Gemeinde-Chronik keine Aufzeichnung, so der 1. Bürgermeister Josef Heigenhauser.
**) Kade muss im Polizeipräsidium München bekannt gewesen sein!
Der Generalstaatsanwalt in Berlin schaltete am 04. August 1947 den Polizeipräsidenten in Berlin ein mit der handschriftlichen Bemerkung „falls eine Aufklärung überhaupt möglich ist“. Daraufhin recherchierte ein Kriminalassistent Tscheslok. Er verfasste einen Vermerk vom 15. Januar 1948, darin teilt er mit, dass der Regierungsrat Hahnenbrog identisch sein müsse mit dem Erich Hahnenbruch im Reichssicherheitshauptamt, Dienststelle IV B2, geb. 05. November 1902, entsprechend Dienststellenliste der SS. Ausserdem sei eine Henny Hahnenbruch in Berlin gemeldet. In einem zweiten Vermerk vom 24. Januar 1948 teilt Tscheslok mit, dass sie eine Verwandte ist, dass Hahnenbruch „eine schwarze Uniform getragen hatte“und dass „seine Schwester in Eschweiler bei Aachen Auskunft über den Aufenthalt von E. Hahnenbruch geben könne. “Eine Schwester der Henny Hahnenbruch in Berlin Tempelhof bestätigt, dass Hahnenbruch im Reichshauptquartier tätig war. Zur Zeit ist „derselbe als Kriegsverbrecher in Nürnberg oder Ludwigsburg in einem Lager interniert .“Ausserdem ermittelte Tscheslok den Wohnort der Ehefrau, Busdorf in Schleswig-Holstein und die Anschrift des Bruders in Bad Homburg.
Die Weitergabe der Vermerke an den Generalstaatsanwalt erfolgte am 26. Januar 1948. Am 01. September 1948 sandte dieser die Akten an das Polizeirevier in Eschweiler, um die Schwester befragen zu lassen. Die Befragung am 10. September 1948 ergab unter anderem: „Meines Wissens war mein Bruder Angehöriger der SS, ich weiß aber nicht, welchen Dienstgrad er dort bekleidet hat. Nach dem Zusammenbruch ist mein Bruder dann abgeurteilt worden. Ich weiß, dass er in Ludwigsburg, Dachau und in einem weiteren Lager, dessen Namen ich aber im Moment nicht angeben kann, gewesen ist. Meines Wissens muß mein Bruder jetzt noch ein Jahr Strafe verbüßen.“ Das Protokoll dieser Vernehmung ging zurück an den Generalstaatsanwalt Berlin am 21. September 1948.
Am 16. Dezember 1949 veranlasste der Generalstaatsanwalt in Berlin die Vernehmung von Hahnenbruch durch die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main. Sie gab das Ersuchen weiter an das Amtsgericht in Bad Homburg am 24. Dezember 1949.
Hahnenbruch wurde zum 10. Januar 1950 vorgeladen und vernommen. Die Rückgabe des Verfahrens an den Generalstaatsanwalt in Berlin erfolgte mit dem Hinweis auf die Zuständigkeit und „weil jedenfalls weitere Ermittlungen nur vom Sitz des ehemaligen Reichssicherheitshauptamtes aus Erfolg versprechen könnten“, am 18. Januar 1950. Ohne weitere Ermittlungen stellte der Generalstaatsanwalt das Verfahren am 28. Februar 1950 ein und gab, wie schon der Staatsanwalt in Frankfurt, Anweisung zur Vernichtung der Akte im Jahr 1956. Zustellungsdatum des Einstellungsbescheids in Reit im Winkl ist der 25. Februar 1950. Eine Abschrift des Bescheids ist in der Akte nicht enthalten.
Das Verfahren hat sich 4 Jahre und acht Monate hingezogen. Vom 02. September 1944 an sind es 5 1/2 Jahre der Ungewissheit, mit der Maria Hamm leben musste und die mit der Einstellung der Ermittlungen nicht aufhörte.
Anfang März 1950 wurde meine Großmutter schwer krank. Ihr Aufenthalt im Nymphenburger Krankenhaus des III. Ordens in München dauerte acht Monate bis November 1950.
Vom Krankenhaus in München aus und dann noch von 1951 bis 1954 leitete Maria Hamm weiter den „Bairhof“. Im Jahr 1953 feierten wir mit ihr meine Erste Heilige Kommunion in Reit im Winkl.
Im Herbst 1954 kam Maria Hamm nach einem weiteren Aufenthalt im Krankenhaus auf den „Bairhof“ zurück, hier verstarb sie am 12. März 1955. Neben ihrem Mann Eduard Hamm ist sie im Familiengrab - durch Oberbürgermeister Christian Ude seit 1996 Ehrengrab - auf dem Waldfriedhof in München bestattet. Die Kondolenzschreiben befinden sich im Stadtarchiv Passau.
Ob meine Großmutter Kenntnis davon hatte, dass sich im Juni 1953 und noch einmal im Dezember 1953 Dr. Dr. Ludwig Karl Neuhaus, protestantischer Pfarrer, Sturmbannführer der SS und Regierungsrat im Reichssicherheitshauptamt B IV 2, wegen seiner NS-Vergangenheit und wegen 1944 begangener Verbrechen vor Gericht verantworten musste, kann ich nicht sagen.
Hahnenbruch hatte in seiner Vernehmung angegeben, dass er „der mit der Vernehmung des Hamm Beauftragte
(meines Wissens Regierungsrat Dr. Neuhaus)“ war. Und weiter „Dr. Neuhaus ist meines Wissens Ende 1944 oder Anfang 1945 im ehemaligen Litzmannstadt gefallen.“ (Vernehmung des Hahnenbruch am 10. Januar 1950 in Bad Homburg vor der Höhe)
Die Verhandlungen im Jahr 1953 in Frankfurt vor der Zentralspruchkammer von Hessen im Juni und vor der großen Strafkammer des Landgerichts Siegen im Dezember überführten Neuhaus. Er wurde als Haupttäter eingestuft. In Siegen erhielt er eine Strafe von zwei Jahren Zuchthaus. Die Öffentlichkeit wurde durch Zeugen, vor allem durch Dr. Eugen Gerstenmaier, über die Verbrechen von Neuhaus aufgeklärt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Spiegel und weitere Medien berichteten darüber. Die Generalstaatsanwaltschaften in München, Berlin und Frankfurt und das Amtsgericht Bad Homburg v. d. H. verhielten sich still. Dabei hatte Hahnenbruch in seiner Vernehmung von 1950 Neuhaus belastet. Da 1953 beide SS-Leute am Leben waren, wäre es die Stunde gewesen, in der hätte aufgeklärt werden können, wie der Reichswirtschaftsminister der Weimarer Republik Dr. h. c. Eduard Hamm ermordet wurde.